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Israel – Die Lage. Krieg, Korruption und Ermittlungen.

Malte Ian Lauterbach berichtet über die aktuelle Lage im Nahen Osten, den weiter eskalierenden Konflikt zwischen Israel und der Hisbollah, den Korruptionsverfahren gegen Netanyahu und wie es zum 07.10. kommen konnte.

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Reifen brennen im Westjordanland nach Ausschreitungen zwischen Israelischen Polizisten und Palästinensern.

Entlang der israelisch-libanesischen Grenze kochen die Spannungen immer höher, da israelische Streitkräfte quasi kontinuierlich in Feuergefechte mit der Milizgruppe Hisbollah verwickelt sind. Immer wieder töten Drohnenangriffe israelische Soldaten und Zivilisten – ein Drohnenangriff am 30. Juni verwundete 19 Soldaten, einige von ihnen schwer. Andauernde Raketenangriffe auf Nordisrael haben das Leben in Gebieten bis 10–15 Kilometer hinter der Grenze unmöglich gemacht und große Bereiche liegen verlassen brach. (BSN berichtete hier aus der israelischen Grenzregion.) 

Nach Monaten der Spannung, schweren Verlusten und enormen Schäden an ziviler Infrastruktur in Nordisrael und im Südlibanon ist der Druck auf die israelische Regierung enorm. Trotz kontinuierlicher Versuche durch die US-Amerikaner, Verhandlungen zwischen Israel und Hisbollah zu führen, ist eine diplomatische Lösung noch weit entfernt. Amos Hochstein, der im vorletzten Jahr eine Schlüsselrolle bei der Beilegung des Streits über die Karisch-Gasfelder und dem Verlauf der maritimen Grenze spielte, konnte keine Einigung zwischen den beiden Konfliktparteien sichern.

Die Hisbollah weigert sich, die Angriffe auf Nordisrael zu stoppen, solange der israelische Krieg in Gaza (den sie als „zionistische Aggression“ bezeichnet) nicht beendet wird – ein Ende des Krieges, das für Israel noch lange nicht in Sicht ist. Insbesondere, weil die Gespräche zwischen Israel, Katar und Vertretern der Hamas in den letzten Wochen immer wieder ohne Einigung ausgelaufen sind und die israelische Operation in Rafah – deren großes Ziel die Befreiung der restlichen Geiseln war, dem Ende entgegengeht. Trotz weniger Erfolge sind immer noch dutzende israelische Geiseln in der Hand der Hamas. Viele andere sind entweder durch israelische Luftangriffe oder durch die Taten der Hamas und des Palästinensischen Jihads gestorben. 

Israelische Diplomaten sprachen in Unterhaltungen mit BSN letzten Monat von drei verschiedenen Uhren – Israels Uhr basiert auf das Schicksal der Geiseln in Gaza, die US-Uhr basiert auf die bevorstehenden Wahlen, die die US-Außenpolitik für die nächsten vier Jahre bestimmen werden, und die Uhr des Irans, die noch vollkommen unklar ist. Hauptinteresse des Irans ist es, durch seine Stellvertreter im Nahen Osten weiterhin Macht auswirken zu können. Ein direkter Krieg zwischen Israel und Hisbollah würde – trotz unvorstellbarer Verluste auf israelischer Seite – das Ende dieser Ambitionen bedeuten.

Israel und den Westen in langsame, zermürbende Abnutzungskriege im Roten Meer und im Libanon zu verwickeln ist für den Iran deutlich lukrativer – so kann dieser seine eigene Einflusssphäre deutlich erweitern und auch propagandistisch im Nahen Osten, sowohl als auch im Westen deutlich effektiver wirken. Insbesondere in den letzten Monaten lässt sich verfolgen, dass der Diskurs in Europa gezielt durch Akteure aus dem Einflussbericht des Irans polarisiert wird.

Iran und seine Verbündete.

Netanyahu betonte, dass Israel plant, Einheiten an die Grenze zu verlegen, um der Hisbollah im Norden entgegenzutreten, wenn nach den Operationen im Gazastreifen Truppen verfügbar sind. Ziel der Verlagerung ist es, die Sicherheit zu erhöhen und die Rückkehr der evakuierten israelischen Bewohner in die Grenzregion zu ermöglichen.

Aus Armeekreisen heißt es, das geplante Ziel der Bodenoffensive im Libanon sei es, die Hisbollah 5 km hinter der Grenze zu Israel zu vertreiben. Eine solche Bannmeile würde bedeuten, dass die Waffen – Kurzstreckenraketen und Lenkraketen, die in Israel zurzeit enorme Schäden anrichten, ihre Ziele nicht mehr erreichen würden.

Völkerrechtlich gesehen steht dieses Ziel im Kontext der UN-Resolution 1701, die nach dem letzten Libanonkrieg 2006 die Entwaffnung der Hisbollah und die Festlegung einer anerkannten Grenze zwischen Israel und dem Libanon ermöglichen sollte. Hauptpunkt war zusätzlich das Verbot paramilitärischer Gruppen im Südlibanon. „Demarkationslinie“ für dieses Gebiet war der Verlauf des Flusses Litani – circa 20 km innerhalb des Libanons.

Bis zu diesem Fluss war die israelische Armee in den letzten Libanonkriegen immer wieder vorgedrungen, um die Dörfer und Städte in Nordisrael zu sichern. Bereits seit mehreren Monaten werden immer mehr Truppen aus dem Gazastreifen nach Nordisrael verlegt. Gleichzeitig sinkt die Anzahl der Truppen im Gazastreifen quasi kontinuierlich. Vor wenigen Tagen warnte das Pentagon die israelische Armee ausdrücklich vor Fehlkalkulationen an der nördlichen Grenze. 

Diplomatische Quellen in der Region berichten, dass Israel seine verdeckten Angriffe in Syrien gegen Waffendepots, Nachschubrouten, pro-iranische Milizen und Kommandeure der Iranischen Revolutionsgarden deutlich verstärkt hat, um sich auf einen möglichen Krieg gegen die Hisbollah im Libanon vorzubereiten.

Ziel der Hisbollah wird es sein, in den Anfangsstunden eines Konfliktes zwischen den beiden Parteien dem israelischen Militär im Norden schweren Schaden zuzufügen – ein Ziel wäre z. B. die Zerstörung der israelischen Luftwaffenbasen. Größtes Problem der israelischen Kräfte ist die schiere Größe der Inventare der Hisbollah; viele der Cruise-Missiles und ballistischen Raketen sind gut getarnt oder unterirdisch gelagert und damit unauffindbar.

Insbesondere bei der Verlegung und Bewegung zwischen den Basen an der Grenze zwischen Syrien und dem Libanon zeigt die Hisbollah erhöhte Vorsicht, nachdem Israel in letzter Zeit einige Angriffe auf Syrien durchgeführt hat. Syrischen Quellen zufolge wurden am 2. Juni bei einem Angriff auf ein Waffendepot in der Nähe von Aleppo 18 Menschen getötet, darunter iranische Berater.

In einer Rede letzte Woche warnte Nasrallah, Führer der Hisbollah, dass im Falle eines Krieges ganz Israel bedroht wäre. „Der Feind weiß sehr gut, dass kein Ort vor unseren Raketen und Drohnen sicher sein wird.“

Der geschätzte Gesamtbestand der Hisbollah an Raketen und Geschossen beläuft sich auf etwa 230.000 bis 350.000 Stück, die aus Quellen wie dem Iran, Syrien und ehemals sowjetischen Beständen stammen. Es ist bekannt, dass die Hisbollah das größte und fortschrittlichste Raketenarsenal im Nahen Osten besitzt – westliche Analysten berichten von einem umfangreichen Arsenal, das etwa 30.000 betriebsbereite Raketen und Geschosse mit verschiedenen Reichweiten enthält. Diese reichen von Kurzstreckenraketen bis zu Mittelstreckenraketen, die weit in das israelische Territorium eindringen können.

Waffenarsenale der Hisbollah: Hier dargestellt während einem Briefing in Nordisrael.

Besonders besorgniserregend – die Entscheidung der Arabischen Liga, die Hisbollah von der Liste der Terrororganisationen zu streichen. So ist es den 22 Mitgliedsstaaten nun erneut erlaubt, mit der Miliz Kontakt aufzunehmen und Beziehungen aufzubauen. 

Inmitten des Schlagabtausches haben fünf Länder ihre Staatsangehörigen aufgefordert, den Libanon zu verlassen. Am Mittwoch forderte das niederländische Außenministerium seine Bürger auf, Reisen in den Libanon zu vermeiden und forderte seine Bürger auf, das Land zu verlassen, solange kommerzielle Flüge noch möglich sind. Aus kanadischen Regierungsquellen heißt es in der Zwischenzeit, man hätte Evakuierungspläne ausgearbeitet, um etwa 20.000 Kanadier aus dem Libanon zu evakuieren, sollte es zu umfassenden Kampfhandlungen zwischen Israel und der Hisbollah kommen.

Deutschland forderte am Mittwoch ebenfalls seine Bürger auf, den Libanon aufgrund des Risikos der eskalierenden Gewalt zwischen Israel und der Hisbollah so bald wie möglich zu verlassen. Auch in Deutschland bereitet man sich auf den Ernstfall vor – vorpositionierte Ausrüstung und Infrastruktur für Evakuierungsoperationen stehen in Zypern bereit. Eine minimale Reserve vor Ort sollte innerhalb weniger Stunden in der Lage sein, diese Infrastruktur wieder vollständig einsatzbereit zu machen.

Aber auch innenpolitisch steigt der Druck auf Netanyahu und seine Regierung – gegen Netanyahu laufen einige Korruptionsverfahren.  Konkret wird ihm vorgeworfen, insbesondere von deutschen Firmen im U-Boot-Skandal Schmiergeld angenommen zu haben. Seit wenigen Tagen ermittelt ein israelisches Regierungsorgan über die damalige Entscheidung Netanyahus, deutsche U-Boote im Wert von 1,5 Milliarden Euro bei ThyssenKrupp zu erwerben – eine Entscheidung, die zu dem Zeitpunkt in Israel höchst umstritten war und in Armeekreisen hinterfragt wurde. Netanyahu betonte vor der Untersuchung immer wieder den strategischen Wert dieser U-Boote, die „die Sicherheit Israels ermöglichen“.

Vor wenigen Tagen ließ die U-Boot-Untersuchungskommission dem Netanyahu und vier weiteren hochrangigen Beamten Warnungen zukommen lassen, die darauf hindeuten, dass sie schwere Konsequenzen aus der laufenden Korruptionsermittlung erwarten könnten. Netanyahu wird immer wieder beschuldigt, das laufende Verfahren gegen ihn zu beeinflussen.

So kam es in den letzten Wochen immer wieder zu massiven Protesten gegen die israelische Regierung. Immer häufiger wird der Rücktritt von Netanyahu gefordert. Einige der am häufigsten vertretenen Meinungen besagen, Netanyahu würde den Krieg gegen die Hamas, komme, was wolle, in die Länge ziehen, um sein eigenes politisches Überleben zu sichern. Damit gefährdet er das Überleben seines Volkes. Auch durch die staatliche Untersuchung zu den Ereignissen am 07/10 gerät Netanyahu immer weiter unter Druck. Am Abend des 07/10 analysierte ich für Berlin Story News das Versagen des israelischen Sicherheitsapparates im Vorfeld des Massakers. 

Bereits zu diesem Zeitpunkt war klar, dass die zunehmende Zerstrittenheit zwischen der Regierung, dem Sicherheitsapparat und den Geheimdiensten dafür sorgte, dass explizite Warnungen vor dem Massaker der Hamas durch die israelische Regierung weitgehend ignoriert wurden. 

Die laufende Untersuchung zeigt genau diesen Fehlschlag auf – immer wieder hatten Geheimdienst, militärische Aufklärung und auch Zivilisten versucht, vor den Plänen der Hamas zu warnen. Aufforderungen, weitere Einheiten in Grenznähe zu stationieren, wurden von der israelischen Regierung größtenteils abgelehnt. Zur weiteren Aufklärung wurden zusätzliche Truppen des Inlandsgeheimdienstes in die Grenznähe verlegt – so kamen eine hohe Anzahl an Shin-Bet-Beamten am 07.10. ums Leben.

Auch diese Untersuchung, die durch mehr als 85 % der Bevölkerung unterstützt wird, hatte Netanyahu mehrfach versucht zu unterbrechen. Sobald das endgültige Ergebnis der Untersuchung vorliegt, werde ich natürlich für Berlin Story News detailliert darüber berichten.

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