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Ukraine: Die Feuerwehr an der Front

Pokrovsk. Eine kleine Stadt im Donbas. Nicht alle Straßen sind geteert. 60.000 Menschen haben hier einmal gelebt. Jetzt greift Russland die kleine Stadt mit mehr als 100 Drohnen täglich, Soldaten am Boden, Raketen und Artillerie an. Warum? Ganz einfach, weil er ukrainisch ist und weil er existiert. Der Ort soll ausgelöscht werden. Dann der nächste. Bis es keine Ukraine mehr gibt. Aber wie lebt man dort? Wer rettet die Menschen? Wer verkauft einem Cola? Zeit, hinzufahren und sich die Lage anzusehen.

Feuerwehr in Pokrovsk
Feuerwehr in Pokrovsk

„Okay, holen wir noch einen Anti-Drohnen-Jammer. Die Russen benutzen jetzt niedrigere Frequenzen“, sagt der ortskundige Volodymyr, der uns begleitet. Er ist oft dort, kennt die Wege auswendig. Durch das Jamming (Störsender) in der Gegend funktionieren die Navigationsgeräte oft nicht. Da macht es Sinn jemanden dabei zu haben, der auch ohne zurechtkommt. Knapp 5.000€ später ist der neue Störsender auf dem Dach. Mit zwei Fahrzeugen geht es los in Richtung Donbas. Aber nachts. Das ist schneller und sicherer. Je nach Ort beginnt zwischen 21 und 0 Uhr die Ausgangssperre, die Plünderungen und Sabotage verhindern soll. Wir dürfen dank unserer militärischen Akkreditierung weiterfahren. 

Ist die Ukraine gefährlich?

Aus Sicht vieler Deutscher ist die Ukraine derzeit überall gefährlich. Aber so einfach ist das nicht. Etwa zwei Drittel des Landes sind relativ sicher. Das ist schwer zu verstehen, wenn man noch nie dort war. Flixbus fährt seit April 2022 wieder in die Hauptstadt Kyiv. Seitdem haben auch alle Hotels und Geschäfte wieder geöffnet. Die Menschen gehen arbeiten, die Kinder in die Schule. Trotzdem schlagen immer mal wieder vereinzelt Drohnen ein. So funktioniert Terror. Es könnte einen treffen, auch wenn die Wahrscheinlichkeit gering ist. Von Kyiv fahren wir nach Kharkiv. Die Menschen in Kyiv sagen, da sei es gefährlich. Das stimmt auch. Von dort fahren wir nach Pokrovsk. Die Leute in Kharkiw sagen, Pokrovsk sei viel gefährlicher. Das stimmt auch. In Pokrovsk sind sich alle einig: Schlimmer geht’s nicht. Hier ist das Ende. Es sei denn, man geht in den Schützengraben an der Front. 

Leere Straßen Richtung Donbas

Die Straßen werden immer leerer, immer dunkler, immer schlechter. Selbst die Geländewagen setzen hier auf oder haben Probleme mit den Schlaglöchern. Pickups und große Geländewagen sind das Mittel der Wahl. Acht Stunden dauert die Fahrt trotz der hohen Geschwindigkeiten. Immer wieder kommt man an Checkpoints des Militärs vorbei. Diese sind weder ausgeschildert noch beleuchtet. Man muss abrupt bremsen, sich ausweisen und dann schnell weiterfahren. Niemand will die beleuchteten Autos lange am Checkpoint stehen haben. Sie könnten Drohnen anlocken. 

Wir schlafen in einem Nachbarort von Pokrovsk in einer Privatwohnung. Zu viele Hotels, in denen wir waren, wurden später bombardiert. So auch das Hotel Druschba („Freundschaft“) in Pokrovsk. Unseren Gastgeber kennen wir nicht, aber Volodymyr kennt ihn. „Da ist der Aufenthaltsraum, einer kann auf die Couch gehen, die anderen ins Gästezimmer. Habt ihr Hunger?“ Fragt er und präsentiert selbstgemachte Limo, hausgemachte Wurst, Schmalz und Brot. Supermärkte gibt es hier noch. Aber diese selbstgemachten Sachen haben Tradition und sind sehr beliebt. „Es ist nach Mitternacht. Denkt dran, um fünf geht die Bombardierung los. Also schaut, dass ihr bis dahin ein bisschen schlaft.“ Dann folgt die übliche Einweisung in die lokalen Sicherheitsregeln: „Wenn es Alarm gibt… ich meine, wenn es einen richtigen Angriff gibt… also… wenn es einen Angriff in der Nähe gibt, so dass die Fenster wackeln… dann zieht Weste und Helm an und geht runter auf die Straße“. OKAY. Und dann? „Und dann… wartet. Hier gibt’s keine Bunker.“ Gut, das wäre geklärt. Aber es ist besser, unten zu warten, als im Haus, das einstürzen könnte.

Kurze Nächte

Das Bett

Der Morgen fängt früh an, wie versprochen. Aber keine Einschläge in der Nähe. In so einer Gegend ist das ein guter Morgen. „Ist Wasser da? Dann duscht alle schnell. Es kann jeden Moment weg sein.“ Im Akkord springen alle unter die Dusche. Dann geht es zum Frühstück. Dieses hat von Eggs Benedict über Shakshuka und englischem Frühstück bis hin zu frischem Lachs alles auf der Karte. Wir fragen, was es denn wirklich gibt: „Na alles.“ Bestellt wird per QR-Code auf dem Tisch. Darüber bezahlt man dann auch per Apple Pay. Und das alles in Sichtweite zur Front. 

Die Stimmung der Menschen hier ist ausgelassen. Sie sitzen bei 21 Grad in der Sonne. Mit gutem Essen. Mit frischem Kaffee. Und sie albern herum, necken sich, zeigen sich lustige Videos. Aber jeder hat einen Erste-Hilfe-Kit am Gürtel oder auf dem Tisch. Man geht davon aus, dass man nicht mal die fünf Meter zum Auto schafft, wenn etwas passiert. In der Regel muss man sich innerhalb einer Minute selbst versorgt haben. Ansonsten kann der Blutverlust so stark sein, dass man das Bewusstsein verliert und verblutet. 

Feuerwehr in Pokrovsk

Wir fahren weiter nach Pokrovsk. „Jammer könnt ihr erst mal aus lassen, Weste braucht ihr auch erst dort“, wird uns erklärt. Das kann man den Einheimischen in der Regel glauben – ein komisches Gefühl ist es trotzdem.

In Pokrovsk angekommen treffen wir den Leiter der Feuerwache. Sehr jung, frisch ausgebildet. Seine Mannschaft in allen Altersklassen. Ihre Wache wurde schon bombardiert. Auch sie müssen vorsichtig sein. Retter sind eines der Hauptziele der Russen. Wenn man einen Retter tötet, kann er niemanden mehr retten. So hat man mit einem Mord im Laufe der Zeit viel mehr Opfer verursacht. 

Vladislav Pospelov von der Feuerwehr Pokrovsk
Vladislav Pospelov von der Feuerwehr Pokrovsk

Der Wachhabende Vladislav Pospelov erklärt uns: „Heute ist es ruhig. Und die Sonne scheint. Das ist gut für die Psyche. Ein bisschen entspannen. Die Tage hier können hart sein. Ich war noch in der Ausbildung, als die Invasion begann. Die anderen und ich sagten: ‚Lasst uns sofort in die Wachen!‘ Aber die Ausbilder sagten: ‚Nein, das wird ein langer Krieg. Sie brauchten gut ausgebildete Leute. Also mussten wir noch ein Jahr die Ausbildung beenden und uns als Wachführer qualifizieren.‘ Das war schwer zu ertragen. Aber am Ende hatten sie recht. Jetzt können wir dauerhaft sinnvoll helfen.“ 

Hinter ihm steht die Bank mit den dicken Feuerwehrjacken und Stiefeln. Aber statt der üblichen Helme haben sie ballistische Helme auf, wie die Soldaten. Und sie tragen zusätzlich schwere Schutzwesten. Ich habe nur ein Polohemd mit Weste an und schwitze. Ich kann mir kaum vorstellen, wie heiß es für sie sein muss.

Dann kommt der Alarm. Das große Feuerwehrauto mit dem Wassertank rückt aus. Der Wagen fährt ohne Blaulicht und Sirene. Nicht auffallen. Die Schlaglöcher haben regelmäßig einen Durchmesser von einem Meter und sind 30 cm tief. Auch das Fahrgestell des Feuerwehrautos wackelt fürchterlich. Kameramann Patrick hat Mühe die Kamera halbwegs stabil zu halten. Die Straße ist unbefestigt und trocken. Durch den aufgewirbelten Staub sieht man kaum etwas.

Schnell und professionell wird der Brand gelöscht. Ein Feuerwehrmann hält die ganze Zeit Ausschau nach angreifenden Drohnen. Dann geht es zurück zur Wache.

Wir merken, dass wir zu wenig zum Trinken mitgenommen haben. Es ist einfach zu heiß und wir bewegen uns zu viel. Aber einige Geschäfte im Ort haben noch geöffnet. Von Softdrinks über frischen Kaffee und Tee bis hin zu selbstgemachter Limonade ist alles zu haben. An der Tür des Shops hängt ein Aushang der Verwaltung: Morgen wird evakuiert. Wer nicht selbst Auto fährt, soll sich am Evakuierungsbus einfinden. 

Kaum Zivilisten

Es sind kaum normale Fahrzeuge im Ort unterwegs. Entweder Militärfahrzeuge oder die typischen Freiwilligenfahrzeuge: alle möglichen gebrauchten Geländewagen, quer durch Europa gekauft. Mittlerweile mit vielen Beulen, manche mit Einschusslöchern oder Rissen von Granatsplittern. Mit der Rolle dunkelgrün lackiert. Oft mit Jammer auf dem Dach.

Die Freiwilligen und Soldaten wohnen immer in einfachen Häusern, eher wie Schrebergartenlauben mit 2-3 Zimmern. Dort leben dann 4-5 Personen mit kaltem Wasser und einfacher Einrichtung. Geld bekommen sie nicht oder nur wenig. Berühmt werden sie nicht. Man tut es nur, weil man überzeugt ist, hier das Richtige zu tun und sein Land verteidigen zu müssen. Kaum jemand sieht dieses entbehrungsreiche Leben. In der Zukunft wird die Welt das schnell vergessen haben.

Der Tod gehört zum Leben

Kurz bevor wir zurückfuhren, fragte einer der Soldaten Patrick, unseren Fotografen: „Du erinnerst dich doch an ihn?“ und zeigt das Foto eines Mannes. Patrick nickt. „Er ist gefallen“, fährt der Soldat fort. Solche Nachrichten bekommt man hier viel zu oft. Es ist traurig. Man denkt an die Hinterbliebenen des Gefallenen. Aber er war nicht der Erste und er wird nicht der Letzte sein. 

Zu viele Menschen sterben. Oft junge Leute. Immer solche, die etwas anderes mit ihrem Leben vorhatten, als in den Krieg zu ziehen. Die Umstände haben sie dazu gezwungen. Berthold Brecht hat es damals schon treffend erklärt:

„Stell Dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin – dann kommt der Krieg zu Euch! Wer zu Hause bleibt, wenn der Kampf beginnt, und läßt andere kämpfen für seine Sache, der muß sich vorsehen: Denn wer den Kampf nicht geteilt hat, der wird teilen die Niederlage. Nicht einmal Kampf vermeidet, wer den Kampf vermeiden will, denn er wird kämpfen für die Sache des Feindes, wer für seine eigene Sache nicht gekämpft hat.“

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