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„Führer und Verführer“ – der Film über Goebbels

Ich habe den Kinofilm über den Reichspropagandaminister Joseph Goebbels im Kino gesehen, bin vom Film über die tief beeindruckt und empfehle ihn aus ganzem Herzen. Propaganda und Hetze. Das ist auch unser Thema in der Berlin Story. In diesem Beitrag geht es darum, was wir mit dem Film zu tun haben.

Führer und Verführer – Szene aus dem Film

Führer und Verführer – der Trailer“. Es geht darum, wie Propaganda gemacht wird, welche Kunst die Nazis daraus gemacht haben und wie das Volk sich bereitwillig darauf eingelassen hat – also die Deutschen. Den Stoff entwickelt und das Drehbuch geschrieben hat Joachim A. Lang. Es geht ihm nicht um den schreienden Hitler, nicht um Goebbels als Dämon, sondern um zwei Menschen, die es schaffen, das Dritte Reich in den Krieg und Europa in den Abgrund zu führen. Margot Friedländer, Holocaustüberlebende, betont im Film: „Es waren Menschen, die das getan haben.“ Es waren keine Monster, keine Ungeheuer, einfach nur Menschen. Was einmal geschah, kann wieder geschehen. Es geschieht wieder. Es gibt so viele Berührungspunkte zwischen dem Film, dem Bunker, Enno Lenze und mir, dass ich etwas ausführlicher werde.

Joachim A. Lang

Und es gibt Unterschiede. Ein zentraler Unterschied zwischen der Entwicklung von Büchern sowie der Dokumentation „Hitler – wie konnte es geschehen“ im Berlin Story Bunker ist: Filme muss man im Team machen, in einem großen Team von unterschiedlichsten Menschen. Das bewundere ich! Wie bringt man so viele Interessen, Ideen und Emotionen unter einen Hut? Wie bleibt man auf Kurs, wenn das Geld knapp wird oder Schauspieler abspringen oder sich während des Drehs schier unüberwindbare Hürden auftun? Die Buchproduktion im Berlin Story Verlag findet zwar nicht ausschließlich, aber doch überwiegend im stillen Kämmerlein statt. Auch das Lektorat und der ganze technische Ablauf danach sind (für mich) mehr oder weniger Routine. Ich habe von Anfang an im Kopf, wie ein Buch werden soll. Da kommt nicht so sehr viel dazwischen. Beim Film sind die Unwägbarkeiten um Dimensionen größer. Da muss am Ende alles stimmen, auch anders als auf der Bühne: Da ist das Publikum nachsichtiger, wenn etwas nicht ganz klappt. Das ist menschlich.

Vor sechs Jahren habe ich zum ersten Mal von dem Projekt gehört. Mein Freund der Autor und Filmemacher Hermann Pölking lud mich zur Berliner Premiere des Vorgängerfilms von Joachim A. Lang ein, „Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm“. Total kompliziert aufgebaut auf mehreren Ebenen, aber alles ganz einfach zu verfolgen. Es geht um die Dreigroschenoper, um die missglückte Verfilmung damals und natürlich um die Person Brecht. Ich dachte: Der kriegt den Stoff in den Griff. Aber da war das Thema Brecht für Lang schon erledigt, er hatte Goebbels im Kopf.

Hermann Pölking

Mit Hermann Pölking hatte er jemanden an seiner Seite, der die Archive des Nationalsozialismus weltweit im Kopf hatte. Hermann hat ein Gedächtnis wie ein Computer, wie ein moderner Computer, der jede Visualisierung erkennt. Er kennt die Filmausschnitte, das Filmmaterial, den Kontext, den Hintergrund, die Qualität, den Preis. Für „Führer und Verführer“ hat Hermann Pölking, so berichtet er auf Veranstaltungen in Bremen und im Umland, mehr als hundert Stunden Filmmaterial zur Verfügung gestellt. Hermann hat einen siebeneinhalbstündigen Dokumentarfilm über Hitler gemacht, ohne Professoren, die ihren Senf dazu geben, nur mit Originalzitaten. „Wer war Hitler“. Die Süddeutsche Zeitung dazu: „In Hermann Pölkings monumentaler Film-Text-Montage ‚Wer war Hitler‘ begleitet der kleine Privatfilm die sich überstürzenden Ereignisse, mit denen Hitler den Zweiten Weltkrieg auslöste: die tschechische Krise, die Verhandlungen mit England und Frankreich, der Pakt-Abschluss mit der Sowjetunion. 460 Minuten, mehr als sieben Stunden, dauert die Festivalversion des Films.“ Ich habe diesen wichtigen Film nicht produziert, aber die lange Festival-Fassung von „Wer war Hitler“ auf drei DVDs herausgegeben. Die DVD-Box ist z.B. im Bunker und im WebShop der Berlin Story erhältlich. In seinem gleichnamigen 780-Seiten Buch sammelte Hermann Pölking Zitate über Hitler, die als Grundlage für seinen Film dienten, aber auch für „Führer und Verführer“ nützlich waren.

Text-Bild-Montagen, so lernte ich Hermann Pölking kennen. Ich hatte 1971 mit Tom Fecht den Verlag Elefanten Press gegründet. Hermann war dann 1980 bei Elefanten Press mein Lektor für „Das kurze Leben des Brian Stewart“. Brian war 13 Jahre alt und wurde in Belfast/Nordirland von einem britischen Soldaten mit einem Plastikgeschoss getötet, als er Süßigkeiten von einem Kiosk holen wollte. Ich kannte Brian. Der Nordirlandkonflikt war mein erster Krieg. Viele meiner Freunde wurden getötet. Der bekannteste war Ronnie Bunting, der Anführer der INLA, der Irischen Nationalen Befreiungsarmee. Sowohl Hermanns Dokumentarfilm von 2017 („Sieben Stunden Nazi-Deutschland“, Gustav Seibt in der SZ) als auch das Dokumentationszentrum „Hitler – wie konnte es geschehen“ ebenfalls 2017 im Berlin Story Bunker erinnern in ihren Film-Text-Bild-Kompositionen verblüffend an das Buch „Brian Stewart“.

Karl Höffkes

Kurz zu Hermann Pölking: Ein Großteil des Filmmaterials stammt aus dem Archiv von Karl Höffkes. Höffkes sammelt seit Jahrzehnten, sein Archiv ist das weltweit umfangreichste mit Privatfilmen aus der Hitlerzeit. Seine Sammeltätigkeit und sein historisches Interesse führten ihn aber auch zu alten Nazis, mit denen er ausführliche Interviews führte. Ein Ergebnis ist sein 564 Seiten starkes Buch „Ich traf Hitler“, das im Berlin Story Verlag erschienen ist und von mir herausgegeben wurde. Es war ein enormes Stück Arbeit, weil Karl Höffkes die Zeitzeugen beharrlich befragte und sie nicht ständig unterbrach, wie es heute in Talkshows üblich ist. Die alten Bekannten Hitlers kamen dann vom Hölzchen aufs Stöckchen, es wurde immer interessanter, musste aber lesbar gemacht werden, ohne den Inhalt anzutasten. Der Historiker Thomas Weber sagte im SPIEGEL über das Buch: „Es ist, als stünde man plötzlich vor einer unverhofft gefundenen Goldkiste.“ Thomas Weber kommt gleich ausführlich zu Wort.

NSDAP

Zurück zu Joachim A. Lang. Damals ging es, wenn ich mich recht erinnere, um die Frage, wie man einen biografischen Spielfilm über Goebbels machen kann, mit oder ohne Hitler, ob Goebbels nur ein Planet ist, der um Hitler kreist, oder ob er eine eigenständige Rolle spielt. Ich meine, Hitler hätte Goebbels nicht aus Wuppertal geholt, wenn er nicht gewusst hätte, wie stark er ist. Goebbels sollte den zerstrittenen Sauhaufen der NSDAP in Berlin auf Linie bringen. Seine Autorität war so stark, dass ihm das schnell gelang. Mich hat beeindruckt, dass Goebbels an den Sieg der NSDAP glaubte, als die Partei völlig am Boden lag, als der Parteitag 1932 in Nürnberg abgesagt werden musste, weil die NSDAP pleite war. Die Frankfurter Zeitung schrieb am 1. Januar 1933: „Der gewaltige nationalsozialistische Angriff auf den demokratischen Staat ist abgewehrt … In den Reihen der NSDAP herrscht große Verwirrung.“ Das Berliner Tagblatt schreibt ebenfalls am 1. Januar 1933: „Überall in der Welt spricht man von … wie hieß er noch mit Vornamen … Adalbert Hitler. Später? Verschollen!“ Und am gleichen Tag die Vossische Zeitung: „Das Jahr, das die Nationalsozialisten zum Jahr der Entscheidung machen wollten, ist zu Ende. Was Feuer schien, ist Fieber. Die Republik ist gerettet.“ Ende des Monats, am 30. Januar 1933, wurde Hitler zum Reichskanzler ernannt. Die gut informierten Medien hätten nicht falscher liegen können. Im Berlin Story Bunker finden Sie diese Texte und die ganze Geschichte der „Machtergreifung“ in einem der Räume von „Hitler – wie konnte es geschehen“.

Joseph Goebbels

Goebbels ist kein Planet, der sich um Hitler dreht. Das musste ich bei der Arbeit an dem 2012 erschienenen Buch lernen, das von allen, die ich gemacht habe, das schwierigste war. Bei weitem das Schwierigste.
Joseph Goebbels gab im November 1933 das Propagandabuch „Das erwachende Berlin“ mit mehr als 600 Abbildungen heraus – ein wichtiger Teil des ständigen Trommelfeuers nationalsozialistischer Propaganda. Goebbels: „Berlin war dem Reiche verloren. Es lebte sein eigenes, frivoles Leben.“ Der Meister der Demagogie der Nationalsozialisten wusste genau, wie er die Deutschen gewinnen kann. Er schildert, in welchem Sumpf sich Berlin befand und wie er die Stadt gerettet hat. Auf dem Backcover heißt es: „Diese wissenschaftlich-kritisch kommentierte Ausgabe ist für jeden geeignet, der verstehen will, mit welch starker Überzeugungskraft die Nationalsozialisten auf einen erheblichen Teil der Bevölkerung einwirken konnten.“
Die für mich wichtigsten Rezensionen sind die auf Amazon: „Das erwachende Berlin“ erschien 1933 und wurde von Josef Goebbels als Eckpfeiler der NS-Propaganda in Berlin konzipiert. Es ist daher ein erstklassiges Dokument für alle Geschichtsinteressierten, die die Quellen des Nationalsozialismus entdecken wollen. Das gesamte Buch wird Seite für Seite kommentiert, so dass der Leser die historischen Fakten leichter von den Propagandalügen trennen kann. Eine dringende Empfehlung für alle Geschichtsinteressierten!

Wie viel innere Stärke, wie viel Sendungsbewusstsein muss jemand haben, der ausgerechnet auf dem Tiefpunkt der NSDAP ein Buch über den Sieg der Nationalsozialisten konzipiert! Deshalb habe ich Joachim A. Lang „Das erwachende Berlin“ gegeben, das seine Konzeption stützt: Es waren Menschen, die für diese Verbrechen verantwortlich waren.

Sven Felix Kellerhoff

Es gab einen Historiker, der mir dabei geholfen hat, das, was ich in diesem Buch auf jeder Seite kommentiert habe, Stück für Stück zu überprüfen: Sven Felix Kellerhoff, der leitende Geschichtsredakteur der WELT. Er hatte angeregt (man könnte auch sagen: darauf bestanden), dass bei einem solchen Hardcore-Propagandabuch jede Seite direkt kommentiert wird. Damit es keine Missverständnisse gibt. Das Buch ist eine Dokumentation, wie viele andere im Berlin Story Verlag. Man muss die Quellen kennen. Ad fontes! In den Goebbels-Tagebüchern, die Joachim A. Lang für das Filmprojekt natürlich gründlich studiert hat, kommt dieses Buch nur am Rande vor. Fun Fact: Mit den Vorarbeiten zu seinem Buch hatte Goebbels Karl Hanke betraut, seit April 1932 sein persönlicher Adjutant als Berliner Gauleiter. Hanke ist auch im Film „Führer und Verführer“ zu sehen. Während Joseph Goebbels eine Liebesaffäre mit der Schauspielerin Lída Baarová hat und sie sogar heiraten will, bändelt Hanke mit Magda Goebbels an. Joseph erfährt davon und ist empört. Per Führerbefehl beendet Hitler beide Beziehungen – und alle vier gehorchen. Hanke wird zur Wehrmacht eingezogen und kommt in den Wirren am Ende des Zweiten Weltkriegs ums Leben.

Sven Felix Kellerhoff hat mir nicht nur bei diesem Buchprojekt geholfen. Er hat zehn Bücher im Berlin Story Verlag veröffentlicht und vor allem durfte ich ihm für „Hitler – wie konnte es geschehen“ die Entwürfe der einzelnen Ausstellungstafeln als PDF schicken. Da er in erster Linie Journalist ist, kann er wirklich schnell arbeiten – im Kopf hat er als Historiker sowieso alles. Am nächsten Tag kam die Tafel mit Anmerkungen zurück. Nur so war es möglich, die umfangreichste Dokumentation zum Nationalsozialismus innerhalb eines halben Jahres fertigzustellen.

Margot Friedländer 

Nun, Kellerhoff kannte unser Tempo bei der Entwicklung von Ausstellungen, bei der Herstellung von Büchern – und er war nicht nur zu mir, sondern auch zu seinem obersten Chef so freundlich und außerordentlich hilfsbereit. Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer SE, hatte Kellerhoff nach einem Verlag gefragt, der ein Buch ordentlich und vor allem schnell und unkompliziert machen könne. Döpfner hatte vor dem 100. Geburtstag der Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer ein Interview geführt, das nicht nur in Auszügen in den Springer-Medien erscheinen sollte, sondern komplett als Buch: „Ihr müsst vorsichtig sein“. Wir sollten das Buch machen. Sven Felix Kellerhoff schrieb die Rahmengeschichte, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Vorwort, es erschien pünktlich. Margot Friedländer wurde 1921 in Berlin geboren, lebte im Untergrund und wurde nach Theresienstadt deportiert. Nach der Befreiung aus dem Konzentrationslager emigrierte sie in die USA und kehrte mit fast 90 Jahren in ihre Heimatstadt zurück. Seither kämpft sie gegen das kollektive Vergessen. Margot Friedländer: „Nach dem Arztbesuch ging ich, wie mit meiner Mutter verabredet, nach Hause. Vor mir ging ein Mann, der mir komisch vorkam. Er sah aus wie SS oder Gestapo mit seinem langen Mantel. Da habe ich gedacht: Wenn der ins Haus geht, dann sei vorsichtig. Das war so ein Gefühl. Und er ging ins Haus. Aber ich musste zu meiner Mutter, um zu besprechen, wie wir uns am Abend aufteilen. Also bin ich langsam die Treppe hochgegangen. Meine Mutter wohnte im zweiten Stock. In der ersten war der Mann nicht, und ich dachte, vielleicht ist er dort, um jemanden zu besuchen. Als ich dann die Treppe hochging, sah ich ihn vor unserer Tür stehen. Ich bin an ihm vorbeigegangen. Ganz nah. Ich hätte ihn fast berührt.“

Zurück zu „Führer und Verführer“. Wenn ich mich recht erinnere, gab es eine Diskussion darüber, ob Zeitzeugen auftreten sollten. Man kennt das aus Fernsehdokumentationen, aber in einem Spielfilm? Neben der Handlung des Spielfilms, wie Propaganda gemacht wird, neben dem historischen Material wären Zeitzeugen eine dritte Ebene. Verwirrt das den Zuschauer? Ist das zu platt? Joachim A. Lang hat mit seinem Mackie Messer Brecht-Film gezeigt, dass er das kann und dass man den Zuschauer durchaus herausfordern kann. Ich konnte helfen, den Kontakt zu Margot Friedländer herzustellen – im Film die wichtigste Zeitzeugin, die in den Besprechungen immer wieder zitiert wird: „Es waren Menschen, die das getan haben“.

Magda Goebbels

Die Szene, wie Magda Goebbels ihre sechs Kinder ermordet, wird im Film nicht gezeigt. Wie wir im Bunker zeigt Joachim A. Lang als letzte Szene, wie die toten Kindern auf dem Boden in weißen Kleidern liegend identifiziert werden. Es ist nicht auszuhalten. So endet der nationalsozialistische Fanatismus. Goebbels im Film: „Damit gehen wir in die Geschichte ein“. Magda Goebbels schreibt im Abschiedsbrief an Harald Quandt, ihren Sohn aus erster Ehe, der in einem Gefangenenlager einsaß: „Unsere herrliche Idee geht zugrunde, mit ihr alles, was ich Schönes, Bewundernswertes, Edles und Gutes in meinem Leben gekannt habe. Die Welt, die nach dem Führer und dem Nationalsozialismus kommt, ist nicht wert, darin zu leben, und deshalb habe ich auch die Kinder hierher mitgenommen. Sie sind zu schade für das nach uns kommende Leben, und ein gnädiger Gott wird mich verstehen, wenn ich selbst ihnen die Erlösung geben werde.“

Was im Film nicht vorkommt, ist die Episode mit dem neunjährigen Helmut Goebbels. Der Führerbunker, in dem die Kinder ermordet wurden, nachdem Hitler und Eva geb. Braun bereits tot waren, war durch einen Tunnel, den Kannenberg-Gang, mit der Neuen Reichskanzlei verbunden. Dort befand sich ein Lazarett, in dem Soldaten behandelt wurden. Helmut langweilt sich, geht durch den Tunnel zum Lazarett und trifft dort auf die 14-jährige Johanna, die er neckt. Sie verbindet gerade einen Soldaten. Er kapiert es nicht, macht weiter und zack! bekommt er eine kräftige Ohrfeige. „Eine Backpfeife für den kleinen Goebbels“ heißt das autobiografische Buch von Johanna Ruf, das 2017 im Berlin Story Verlag erschienen ist. Sie war die Letzte im Führerbunker. Ihr „Coming out“ begann mit einem Fernsehinterview im Berlin Story Bunker. Seitdem stand sie als letzte Überlebende im Mittelpunkt des Medieninteresses. Kurz vor ihrem Tod erzählte Maritta Tkalec in der Berliner Zeitungvon ihrem Leben. Johanna Rufs Buch ist deshalb so wichtig, weil es auf ihren damaligen Tagebuchaufzeichnungen beruht. Es handelt sich also nicht um eine Betrachtung aus der Distanz mehrerer Jahrzehnte.

Sylke Wunderlich

Die Propaganda der Nationalsozialisten – darum geht es in „Führer und Verführer“. Das Standardwerk zu diesem Thema erschien ebenfalls im Berlin Story Verlag, „Propaganda des Terrors“ von Sylke Wunderlich. Es handelt sich um ein großformatiges Hardcover-Buch mit Plakaten der Nationalsozialisten, ein umfassendes Kompendium der Plakat-Propaganda des NS-Staats bis zum Untergang. Die Kunsthistorikerin mit Lehraufträgen in Anklam, Schwerin und Berlin unterrichtet und publiziert zur Designgeschichte, vor allem aber zu Propaganda im Nationalsozialismus. Mit ihrer Stiftung Plakat OST sammelt sie DDR-Plakate, ihre Geschichte und die ihrer Gestalter. Sie zitiert Adolf Hitler: „Ich lernte frühzeitig verstehen, dass die richtige Verwendung der Propaganda eine wirkliche Kunst darstellt.“ Und Joseph Goebbels: „Ist die nationalsozialistische Bewegung vielleicht durch die Theoretiker an die Macht gekommen – oder durch die Propagandisten?” Dieses Selbstbewusstsein von Goebbels kommt auch im Film vor: „Kennt irgendwer den Propagandisten von Churchill? Oder den von Stalin? Ein jeder auf der Welt kennt aber Joseph Goebbels!“

Thomas Weber

So viele Berührungspunkte zwischen „Führer und Verführer“, dem Berlin Story Bunker und mir. Und jetzt kommt der Wichtigste: Thomas Weber. Der Professor für Geschichte und Internationale Politik an der University of Aberdeen war nicht von Anfang an beim Film dabei. Ich stellte den Kontakt via Hermann Pölking im August 2020 her. Thomas Weber (english) wurde für Joachim A. Lang zum zentralen Berater und spielt auch bei der Vermarktung des Films eine entscheidende Rolle. Er hat dem Film mit seinen Ratschlägen das Prädikat „historisch korrekt“ aufgedrückt. Uns auch. Wir folgten diesem derzeit weltweit wichtigsten Historiker zum Nationalsozialismus in einem der entscheidenden Räume von „Hitler – wie konnte es geschehen“. Wie wurde Hitler zum Nationalsozialisten? Sein Vater war ja keiner, damals gab es die Nazis noch nicht. Hitler wurde nicht als Nazi geboren. Selbst in seiner Zeit als Soldat im Ersten Weltkrieg war er ganz und gar ohne Führungsaufgabe, ohne Charisma, ohne Ehrgeiz. Die beiden Bücher von Thomas Weber zu diesem Thema wurden in mehr als zehn Sprachen übersetzt: “Hitlers erster Krieg. Der Gefreite Hitler im Weltkrieg – Mythos und Wahrheit“ und „Wie Adolf Hitler zum Nazi wurde. Vom unpolitischen Soldaten zum Autor von Mein Kampf“. An diesen Büchern orientierten wir uns in ständiger Absprache mit Thomas Weber bei der Entwicklung dieses Themas im Bunker.
In der deutschen Wikipedia scheint sich bis auf die Interpunktion niemand wirklich um ihn zu kümmern. Eines der Hauptverdienste von Thomas Weber wird nämlich weder dort noch sonstwo richtig erwähnt: Er hat das Archiv von Gerd Heidemann in jahrelanger, beharrlicher und zeitaufwendiger Arbeit zusammengehalten, gerettet und an die Hoover Institution in Stanford vermittelt. Der Journalist Gerd Heidemann wird dafür verantwortlich gemacht, dass der STERN Hitlers Tagebücher veröffentlicht hat. Eigentlich war das Gegenteil der Fall: Heidemann war zwar begeistert von seinem Fund, flehte aber die Chefredaktion an, auf das Papier-Gutachten des BKA und des Bundesarchivs zu warten. Das kam wenige Tage nach der Sensations-Veröffentlichung und Hitlers Tagebücher fielen wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Heidemann war dennoch ein fabelhafter Journalist. Er verschaffte sich das Boot von Hermann Göring, lud Altnazis ein, machte sie besoffen und nahm – mit deren Einverständnis – alles auf. Er besuchte Nazis, die nach Südamerika geflohen war. Dazu brauchte er natürlich einen (Nazi)-Türöffner. Alles ist da, nichts ist ausgewertet. Kein deutsches Archiv zeigte Interesse. Wir hatten überlegt und mit Gerd Heidemann darüber gesprochen, Enno Lenze und ich, dieses Archiv zu erwerben und in den Bunker zu bringen. Aber uns war klar, dass uns jegliche Mittel fehlten, diesen Schatz auszuwerten. Thomas Weber leitete neben Lehre, Forschung und Publikation alles zu Hoover in die richtigen Bahnen. Bald werden die Quellen im Internet öffentlich zugänglich sein – sein Verdienst!

Klare Kante gegen Hitler

Thomas Weber beschäftigt sich mit der Frage der Machtergreifung der Nationalsozialisten – eine der brennendsten Fragen unserer Zeit. Im von ihm herausgegebenen Buch „Als die Demokratie starb“ beschreibt zum Beispiel Beatrice de Graaf, wie die Krise der Demokratie in den Niederlanden 1933 eingedämmt wurde. Weil die herrschenden Parteien über den den Tellerrad hinausschauten und sich zusammenschlossen – anders als es damals in Deutschland war und anders als es heute in Deutschland ist. Die jetzige Koalition aus SPD, Grünen und FDP zeigt sich nicht in der Lage, gemeinsam mit der CDU eine Front gegen die AfD und das Bündnis Sahra Wagenknecht zu bilden. Heute, während ich diese Zeilen schreibe, wollen zwölf Prozent der Deutschen Olaf Scholz wieder als Bundeskanzler sehen. Ein erbärmlicher Wert.
Für dieses Buch bat mich Thomas Weber um einen Beitrag, warum so viele Menschen in „Hitler – wie konnte es geschehen“ kommen, sich andere Museen und Gedenkstätten aber so schwer tun, gegen Hitler klare Kante zu zeigen mein Beitrag. Mein Hauptargument ist: Die anderen machen das für Geld. Sie haben was mit Geschichte studiert, und zum Thema Nationalsozialismus gibt es viele Jobs in Museen, Gedenkstätten, Stiftungen, Vereinen. Da kann man den Nationalsozialismus als 38,5-Stunden-Woche machen. Einen der Historiker, der hier im Text auch vorkommt, habe ich neulich im Biergarten gefragt: „Kannst du mir erklären, warum sich die Chefs zum Beispiel der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, der Topographie des Terrors oder der NS-Gedenkstätten in Brandenburg nicht einmal anschauen, was wir machen?“ Er hatte keine Antwort. Aber ich: Die kriegen dafür kein Geld. Wenn sie eine organisierte Exkursion während der Arbeitszeit machen würden, wäre das vielleicht etwas anderes. Ihr Interesse ist so gering, dass sie sich nicht einmal ansehen, was andere in der gleichen Stadt zum gleichen Thema machen. Sie nehmen aber gerne bezahlte Reisen in alle Welt in Anspruch. Wir reisen auch. Enno Lenze und ich sehen uns sehr viel an. Wir zahlen selbst. Bei uns merken die Besucher, dass wir uns persönlich gegen Nationalsozialismus, Rassismus und Antisemitismus einsetzen, und dafür, dass die Ukraine den Krieg gewinnt. Das sehen wir in den tausenden von Bewertungen bei Google und bei den täglichen Gesprächen mit Besuchern. Das bestätigten uns auch die Botschafter der USA und Israels, die alle bei uns waren, seitdem wir auf haben. Unseren Aktivitäten, Enno Lenze und Wieland Giebel,  kann man täglich auf X folgen – sehr transparent. Genug ausgekotzt.

Germany’s Hitler

Zurück zu Thomas Weber und zurück zum Thema Propaganda. Das ist jetzt neu, darüber haben wir noch nichts geschrieben: Thomas Weber bereitet im Berlin Story Verlag ein Buch vor, das um einen zentralen Punkt nationalsozialistischer Propaganda geht. Er gibt „Germany’s Hitler“ heraus, die erste deutsche Übersetzung der ersten englischsprachigen Hitler-Biografie. Das Buch erschien 1934, kurz nach der Machtergreifung und lange vor dem Holocaust und dem Zweiten Weltkrieg. Hitler und Goebbels wollten eine positives Verhältnis zu England aufbauen. Aus dem gleichen Grund konnte der amerikanische Professor Theodor Abel damals mit Hilfe des Propagandaministeriums 683 Berichte von alten Kämpfern sammeln, die erläuterten, warum sie mit ganzem Herzen und voller Inbrunst Nazis waren. Das wollten sie den Amerikanern und Engländern erklären. Mein Buch mit diesen Quellen heißt „Warum ich Nazi wurde.“

„Germany’s Hitler“ wird häufig in Büchern über Hitler zitiert. Der Autor ist Heinz A. Heinz. Man kann das Buch auf Englisch bei Amazon bestellen. Nur: Wer soll das sein, Heinz A. Heinz. Den gibt es nicht. Der inzwischen verstorbene Autor Volker Elis Pilgrim „beweist“, wie er sagt, auf 16 Seiten in seinem Buch „Hitler 1 und Hitler 2“, dass es sich um ein Pseudonym von Putzi Hanfstaengl handelt, dem damaligen Auslandspressesprecher Hitlers. Weit gefehlt. Thomas Weber hat herausgefunden, wer das Buch tatsächlich geschrieben hat, wer der „Puppetmaster“, also der Strippenzieher im Hintergrund war, und vor allem was mit diesem Propagandabuch erreicht werden sollte und erreicht wurde. Fake News unter den Nazis mit einem eigenen Ministerium dafür. Der Bezug zu unserer Situation heute ist offensichtlich. Wie können wir uns vor Putins Propaganda schützen? Wie kann es sein, dass mehr als die Hälfte der Wähler in den ostdeutschen Bundesländern der russischen Propaganda folgen und AfD und Sahra Wagenknecht wählen?

„Führer und Verführer“ von Joachim A. Lang ist das Thema dieses Beitrags – und Propaganda in jeglicher Form ist unser Thema.

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