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Im Norden nichts Neues

Malte Lauterbach berichtet live aus Nordisrael über die Ereignisse des Freitagabends und der vergangenen Woche – nach monatelangem Feuerwechsel mit der Hisbollah wirkt eine israelische Offensive im Südlibanon immer wahrscheinlicher.

EIn Schiff der israelischen Marine auf Patrouille in Nordisrael.

Notiz: Dieser Artikel entstand am 20.09.2024 um 22:30 Ortszeit. Die Lage ist instabil, der Artikel ist möglicherweise bereits veraltet.

Während die 98. Fallschirmjäger-Division „Ha-Esh“, die in den meisten israelischen Kriegen an vorderster Front kämpfte, eilig in den Norden verlegt wird und das israelische Sicherheitskabinett am Shabbat tagt – etwas, was ihnen explizit nur in Ausnahme- und Krisenfällen möglich ist – fährt man währenddessen im Norden den Verkehr auf den Straßen weitgehend herunter. Vielerorts kontrollieren nun Straßensperren den Verkehr – Ortsfremde werden zurückgeschickt, alle anderen angewiesen, sich möglichst nicht im Freien und in der Nähe der Schutzräume aufzuhalten.

Auch für Journalisten ist die Berichterstattung schwer möglich – Fotografieren ist ungerne gesehen, denn auch die Hisbollah liest Zeitung.

Es ist eine wahrlich ereignisreiche Woche im Nahen Osten – am Dienstag und Mittwoch legten durch israelische Geheimdienste manipulierte Pager die Kommunikation der Hisbollah lahm. Diese Sabotage verdeutlicht den tiefgreifenden Einfluss der israelischen Geheimdienste auf die Kommunikations- und Koordinationsstrukturen der Hisbollah.

 Ein so weitreichender Eingriff ist in der Geschichte wahrlich einmalig – in wenigen Minuten hat die seit Jahren vorbereitete Aktion, die in den letzten Monaten in die Praxis umgesetzt wurde, große Teile der Führungsebene der Hisbollah schwer verletzt oder getötet – mit minimalen zivilen Verlusten.

Die Zerstörung der Pager zwingt die Hisbollah, auf unsicherere Kommunikationsmethoden zurückzugreifen, die leichter abgehört werden können.  Pager sind Einweg-Kommunikationsmittel; der Empfänger ist ergo nicht zu identifizieren, lediglich der Sender. Bei einem Telefonat sind jedoch beide Seiten leicht zu ermitteln. Ein solches unverschlüsseltes Telefonat verriet der israelischen Armee am frühen Nachmittag den Treffpunkt mehrerer hochrangiger Mitglieder der Hisbollah – Gerüchten zufolge unter anderem Ibrahim Aquil, einem international gesuchten Terroristen, dessen Bombenangriffe auf US-Personal 1983 dutzende Opfer forderten.

Die nahtlose Kommunikation zwischen einzelnen Einheiten und zentralen Führungspersonen der Hisbollah, die sie von klassischen Milizen abhob und auf das Niveau vieler moderner Armeen stellte, scheint komplett gestört zu sein.

Dennoch bleibt die Hisbollah trotz der Angriffe weitgehend einsatzfähig. Allein heute wurden mehr als 350 Raketen aus dem Libanon nach Nordisrael abgefeuert, die sowohl militärische als auch zivile Ziele trafen. Im Laufe des gestrigen Tages kamen bei Drohnenangriffen zwei israelische Soldaten ums Leben.

Die Bestände der Hisbollah – insbesondere in Bezug auf Drohnen und Präzisionsflugkörper – scheinen deutlich tiefer zu sein, als vor dem Krieg angenommen.

Während die IDF ihren Fokus zusehends auf die nördliche Front verlagert, bleibt der anhaltende Krieg im Gazastreifen ein ungelöstes Problem. Nach fast einem Jahr Krieg liegt der Gazastreifen größtenteils in Schutt und Asche – aber die militärischen Fähigkeiten der Hamas sind immer noch nicht zerstört, und in Teilen des Gazastreifens ist die Macht der Hamas stärker als je zuvor.

Täglich werden weiterhin Raketen auf Israel abgefeuert, und israelische Offizielle gaben im Gespräch mit BSN jüngst zu, dass „der Krieg in Gaza im Grunde vorbei ist – wir haben weder gewonnen noch verloren.“

In den evakuierten Orten im Norden wiederum ist es still – totenstill. Der warme Sommerwind peitscht durch die Wälder und Wiesen Galiläas – die Wälder, die trotz des monatelangen Beschusses nicht niedergebrannt sind. Immer wieder wird die Stille übertönt durch das Donnern von Raketen der Hisbollah, das tiefe Grummeln israelischer Bomben und den Lärm der Jets. Danach kehrt wieder Stille ein. Sie ist schon fast unheimlich. Beim letzten Libanonkrieg 2006 herrschte einen Monat lang keine Stille. Die israelische Artillerie feuerte pausenlos auf Ziele, mehr als 30.000 Schuss Munition wurden in 31 Tagen abgegeben. Noch schweigt die Artillerie meist. Es liegt in den Händen Netanyahus, des soeben tagenden Sicherheitskabinetts, und in den Händen von Nasrallah und Khamenei, dass es so bleibt.

Bis dahin gibt es im Norden nichts Neues.

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